Bei der Planung meines Work & Travels in Island, habe ich von Anfang an Wert daraufgelegt, auf einen Hof mit Tieren zu kommen. Am Liebsten wollte ich auf einen mit Schafen. Und was soll ich sagen? Nicht nur Schafe waren mir vergönnt, sondern auch Pferde und Kühe.
Was ich bei meiner Planung nicht bedacht hatte war allerdings, dass ich genau zur Zeit des Schafabtriebs dort sein würde. Da ich eh ein bestimmtes Zeitfenster für meine Zeit in Island vorgegeben hatte, hatte ich solche Aspekte gar nicht erst mit einbezogen. Desto erfreuter war ich natürlich, als mir langsam dämmerte, dass ich als Schaf-Fan, genau zum richtigen Zeitpunkt da sein würde.
Vom Schafabtrieb zu Fuß und hoch zu Ross und mehr Wasserfällen, als man zählen kann.
Das erste Mal beim Schafabtrieb mit dabei – Mitte September
Frisch gestärkt nach dem Mittagessen, machten wir uns auf den Weg. Mit zwei Border Collies im Schlepptau, erreichten wir über Schotterpisten in wenigen Minuten Fahrzeit eine Bergkette nicht weit vom Hof entfernt. Der Geländewagen wurde einfach stehen gelassen. Dort angekommen, wurden erst einmal neongelbe Warnwesten verteilt und mir erklärt, was ich denn überhaupt zu machen habe.
Wir waren zu viert unterwegs. So wurde der östliche Berghang (Ja, der westliche sollte noch folgen) und das Bergplateau in 4 geteilt. Mir wurde der unterste Abschnitt zugewiesen, gezeigt, dass ich seitlich mit ausgestreckten Armen rauf und runter wedeln solle, sobald mir Schafe begegnen, dabei eine Art Geräusch machen soll, was mich an Flügelschlag erinnerte (Greifvogel Imitat anyone?) oder aber “Hop, hop, hop.” rufen solle und außerdem die Richtung gewiesen (Süden). Yoah, und dann ging es auch schon los.
Meine Reaktion war: Ich lauf jetzt einfach mal in die mir genannte Richtung. Bin ja sowieso ein großer Fan von kaltem Wasser. Frei nach dem Motto: Ich habe keine Ahnung, was ich hier tue und Schafe habe ich auch noch keine gesehen, dann kann ja noch nichts schiefgehen.
Der interessanteste Part beim Schafabtrieb ist der, sobald du irgendwann keinen Sichtkontakt mehr zu den anderen hast. Du weißt, in die Richtung muss ich gehen, an einem Berghang kann man nicht viel falsch machen und dann läufst du und läufst du. Manchmal 20 Minuten ohne irgendwen zu sehen. Dann geht es über schmale Bäche, kleine Wasserfälle, so viele, dass du irgendwann aufhörst zu zählen. Und plötzlich siehst du das erste Mal ein kleines Grüppchen Schafe vor dir. Also wie war das? Mit den Armen wedeln und los. Kaum hatte ich das getan, spurteten sie auch schon los. Und sogar in die richtige Richtung. Perfekt, das lief ja wie am Schnürchen.
Irgendwann, waren sie so weit vorgelaufen, dass sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren. So hieß es wieder: Einfach weiterlaufen! Irgendwann hörte ich ein gutes Stück über mir, wie ich gerufen wurde. Und wow, da war ja wieder wer. Sie hatte ein paar Schafe aufgescheucht, die nun den Hang in meine Richtung runterliefen und die ich aufhalten sollte. Problem an der Sache war allerdings, dass ich sie durch die Felsvorsprünge vor mir nicht sehen konnte. Als ich sie dann endlich sah, waren sie schon so weit weg, dass selbst mein Sprint den Hang hinunter nicht mehr gereicht hat. Weg waren sie! Das war dann eben so und weiter ging’s. Für mich erstmal wieder den Hang hinauf und weiter Richtung Hof. Nach und nach tauchten immer mehr Schafe auf, sodass wir irgendwann an die 30 Tiere vor uns hatten.
Mein Lieblingspart war der, wo man von den Schafen vor sich mal abgesehen, minutenlang alleine durch die Natur gestromert ist und plötzlich nach und nach ein Mitstreiter nach dem anderen in der Ferne auftauchte, inklusive Schafen. Irgendwann gelangt man an den Punkt, wo alle wieder zusammenkommen und man das letzte Stück bis zum Hof, Seite an Seite läuft. Wenn man vorher minutenlang alleine durch unbekanntes Terrain läuft, Felsbrocken hochklettert, sich seinen Weg über unwegsames Gelände, kleine Wasserfälle und durch schmale Bäche bahnt, man kilometerweit schauen kann und man nichts als Berge, Wiesen und die paar Schafe, die man aufgescheucht hat, siehst, man nichts hört, außer dem Rauschen des Windes oder das vereinzelte Blöken eines Schafes: Es kommt einem so vor, als wäre man der einzige Mensch auf der Erde.
Als wir nach und nach wieder zusammenkamen, musste ich feststellen, dass nicht nur wir 4 unterwegs waren. Nein, wir hatten scheinbar Unterstützung von Nachbarn. Die letzten Kilometer zum Hof waren wir etwa zu zehnt. Vor uns massenhaft Schafe, die brav vor uns herliefen. Am Hof angekommen, wurden sie noch auf die Weide getrieben und danach hatten wir uns unsere alltägliche Kaffeepause redlich verdient. Natürlich sind die Nachbarn dafür noch geblieben. In Island wird kein Besuch ohne Kaffee nachhause geschickt. 😉
An dem Tag waren es etwa 10°C, sodass ich neben meinem Outdoor Pulli mit Woll-Anteil, eine Jeans und Gummistiefel trug. Das war absolut ausreichend, da es extrem mild an dem Tag war. Als ich während des Abtriebs mein Handy aus meiner Brusttasche nahm, um ein Foto von einem Wasserfall zu machen, bevor ich ihn überquerte, musste ich feststellen, dass es klatsch nass war. Ich war ganz schön ins Schwitzen gekommen. Aber kein Wunder, denn auf Geröll läuft es sich in der Schräge super und Hänge rauf und runter sprinten, um Schafen den Weg zu versperren, geht auch nicht spurlos an einem vorbei. Aber von der Fitness her, war das absolut kein Problem. Ich hätte mir nur gewünscht, einen Schrittzähler dabei gehabt zu haben. Mein jämmerlicher Versuch, die Strecke gerade auf Google Maps auszumessen, führt natürlich zu keinem realistischen Ergebnis, da dort keine Höhen und Tiefen berechnet werden. So komme ich jetzt auf 7 km. Der Tatsächliche Wert ist wohl deutlich höher, aber definitiv machbar.
Schafabtrieb zu Pferd – ein Gefühl von wildem Westen in Island
In meiner Zeit auf dem Hof, bin ich insgesamt nur 2 Mal geritten. Eigentlich hätten es 3 Mal sein sollen (immerhin), ein Abschiedsausritt, aber das Wetter war so schlecht, dass er gecancelt werden musste. Wie traurig. So habe ich einmal das Pferd der Mutter übernommen, nachdem sie nach einer Tour wieder am Hof angekommen war und es bis zum Stall über Felder geritten. Das hat sie scheinbar von meinen Reitkünsten überzeugt, denn einen Tag später fragte sie mich, ob ich Lust hätte mit ihr zu zweit, nochmal Schafe treiben zu gehen, nur dieses Mal zu Pferd. Ich hatte daraufhin zu ihr gemeint, wenn sie der Meinung wäre, dass ich dazu in der Lage sei, von dem was sie bisher gesehen hätte, dann würde ich liebend gern mitkommen. Bis dahin war ich nämlich seit ein paar Jahren nicht mehr geritten. Aber wie ich schnell gemerkt habe, Reiten ist wie Fahrrad Fahren, man verlernt es nie. Allerdings gehörte ich immer zu den guten Reitern, was sich jetzt bezahlt machte.
Wir luden also 2 Pferde in den Hänger, fuhren ein Stück, spähten nochmal durch das Fernglas und machten uns auf den Weg. Erst ein Stück die Straße entlang und dann bogen wir wieder auf ein Feld ab. So waren wir südlich vom Hof, sodass wir dieses Mal aus der anderen Richtung kamen.
Das Land dort wurde nicht bestellt, sondern sich selbst überlassen. Es wirkte fast ein wenig, wie ein Moor. Eine Wiese, wie die obige, durchzogen mit hunderten schmalen Bächen, Rinnsalen und lauter kleinen Hügelchen (Lass dich nicht täuschen, sie sind mit Moos bewachsen und man sinkt recht tief ein. Das konnte schon mal ‘nen Höhenunterschied von bis zu 40cm bedeuten). Hin und wider kamen auch Bäche in 1 1/2m tiefen Gräben, die du erst kurz vorher sahst. Naja, immerhin ist mir die Vollbremsung im vollen Galopp gelungen, ohne aus dem Sattel über den Kopf hinweg in eben jenen Bach zu fallen. Meine Nerven! Isländer sind ja sehr trittsichere Pferde, aber über diese Hügelchen zu reiten, war ein ziemliches Geschaukel und mit den ganzen Bächen, ich habe mich nicht getraut mein Handy für ein Foto herauszunehmen. Dabei hatten wir bestes Wetter und es wäre ein Traum-Motiv gewesen.
Zurück zum Abtrieb: Wieder eine Sache, die ich vorher noch nie gemacht hatte, die aber wesentlich besser klappte, als zuvor gedacht. Unser Ziel war, wie gesagt, der Hof, sodass wir uns systematisch in diese Richtung vorarbeiteten. Hin und wider schreckten wir ein paar Schafe auf, die entweder direkt in die richtige Richtung davonrannten, oder denen man mit beherztem Vorpreschen, den Wegabschnitt, um sie an der Flucht zu hindern. Manchmal war das ein einziges nach Rechts und Links, bis sie die Flucht nach Vorn’ aufgaben. Über den Wind hinweg, wurden mir immer wieder Anweisungen zugerufen. Als wir schon eine große Anzahl von Schafen vor uns hatten, ritt meine Gastmutter relativ weit von mir entfernt in der Nähe von Felsvorsprüngen, sodass ich nicht sehen konnte, was bei ihr gerade los war. Jedoch rief sie mir dann etwas zu, was ich nicht verstehen konnte, weil mir der Wind so laut um die Ohren sauste.
Ich fragte mich: “Soll ich näherkommen und ihr bei etwas helfen?”, konnte aber nicht ausmachen, was sie von mir wollte, sodass ich meinen Blick über die Schafe und die nähere Umgebung schweifen ließ, in der Hoffnung, dass ich es mir auch so zusammenreimen konnte. Auf einmal sah ich ziemlich weit links von mir ein Grüppchen von 4 Schafen, genau in die Richtung preschen, aus der wir gekommen waren. Ob sie wohl das gemeint hatte und ich sie aufhalten soll? Aber was, wenn nicht? Ich musste eine Entscheidung fällen, denn wenn ich nicht schnell handelte, wären sie, im wahrsten Sinne, über alle Berge. So bin ich dann hinter den Schafen her gepasst. Wir flogen quasi über die Wiese. Und tatsächlich, im letzten Moment habe ich es geschafft mein Pferd vor die Schafe zu setzen, umzudrehen und sie nach ein paar Anläufen, denn sie dachten nicht ans Aufgeben, wieder zurück in die richtige Richtung zu treiben. Hätte das nicht funktioniert, wäre es ärgerlich gewesen, denn wir waren schon kurz vor dem Gatter, das wieder auf unsere Weiden führte.
Während sie das Gatter öffnete, habe ich die Tiere in Schach gehalten. Anschließend haben wir die Schafe über die Kuhweide bis auf die Schafweide getrieben und die Pferde versorgt. Danach hatten wir uns unsere Kaffeepause redlich verdient. Als wir um 18 Uhr, ja wir waren 4 1/2h im Sattel gewesen, das Wohnhaus erreichten, machten sich mein Gastbruder und -vater gerade zum Melken fertig. Wir wurden mit den Worten begrüßt: “Na, auch wieder da?”. Ja, wir waren ziemlich lange weg gewesen, denn normalerweise geht’s bereits ab 17:30 zum Melken. Aber bevor meine Gastmutter die beiden zum Melken entließ, musste sie noch von meiner Heldentat berichten. Als sie mir etwas zugerufen hatte, wollte sie mich nicht darauf hinweisen, dass die 4 Schafe gerade abhauen. Sie hatte das gar nicht bemerkt. Umso größer war dann die Begeisterung, dass mir das aufgefallen war und ich direkt gehandelt hatte – mit positivem Ausgang. Nach dieser Aktion und nachdem sie das erzählt hatte, hatte ich das Gefühl, als wäre ich nun richtig in die Familie aufgenommen worden. Nicht, dass sie vorher unfreundlich gewesen wären. Nein, sie waren auch vorher nett und lustig, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, als wäre ich jetzt akzeptierter und integrierter, weil sie gemerkt hatten, dass ich das, was sie tun, ernst nehme und nicht einfach nur als Abenteuer sehe. Das war in der 3. Woche!
Dies war der 1. Teil zu meiner dreiteiligen “Schafabtrieb in Island”-Reihe. Mehr zum Abtrieb, dem Réttir und kleinen Events, die Touristen eher verborgen bleiben, kommt in den nächsten Wochen.
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